„Alles roch und schmeckte nach ihm. […] Ich fühlte mich ekelhaft.“
Leonie, 21
In diesem Interview um das Thema sexuelle Belästigung.
„Sexuelle Belästigung“ – diese Worte sind uns allen ein Begriff. Jeder hat davon schon mal gehört, war selbst Opfer einer Belästigung oder kennt jemanden, der es schonmal erlebt hat. Und trotzdem ist das Thema immer noch ein Tabuthema und viele Betroffene haben Angst, davon zu erzählen oder schämen sich gar dafür, dass es passiert ist.
Erzähl gerne etwas über dich.
Ich bin Leonie, 21 und lebe in Berlin. Ich beginne bald eine Ausbildung zur Kitaerzieherin, spiele in meiner Freizeit Quidditch und genieße das Leben in der Großstadt.
Welche Art von sexueller Belästigung hast du erlebt? Erzähl von dem Vorfall.
In meinem Leben habe ich mehrere Vorfälle von sexueller Belästigung erlebt. Heute erzähle ich aber von einer Situation, die mich besonders belastet und geprägt hat:
Es passierte auf dem Weg ins Gym. Er hatte mich über Instagram angeschrieben und mir angeboten, mich zu meinem Sportkurs begleiten. Später stand er dann dafür vor meiner Haustür. Wir sind gleich von Anfang an händchenhaltend gelaufen und ich weiß noch genau, dass ich Kaugummi kaute, das kling vielleicht am Anfang unrelevant, aber das sind dies Details, die einem sich so in Gehirn brennen, dass man sie nicht mehr rausbekommt. Ein paar hundert Meter später kam eine kleine Mauer in Sitzhöhe. Er sagte zu mir, ich solle mich hinsetzen, da er mich unbedingt küssen wollte. Innerlich hatte ich darauf gar keine Lust. Er stand zwischen meinen Beinen, während ich auf der Mauer saß. Das Küssen war sehr ekelig, er sabberte und hatte dann meinen Kaugummi im Mund. Wir liefen weiter und irgendwann stand in einer Seitenstraße ein weißer Kleinbus. Plötzlich sagt er zu mir, dass ich ihm beweisen muss, dass ich ihn wirklich mag und dass er einen Test für mich hat. Wir gingen hinter den Kleinbus und er fragte mich, ob ich seinen Schwanz anfassen möchte. Ich sagte nein. Er fragte mich, ob ich ihn sehen möchte. Ich sagte nein. Als er mich fragte, ob wir uns wieder küssen wollen, wollte ich nicht noch einmal nein sagen und ließ mich überreden. Als wir uns küssten, griff er plötzlich in seine Hose, holte seinen Schwanz raus und fing an sich einen runter zu holen. Er versuchte mit seiner Hand in meine Hose zu kommen aber diese war zum Glück zu eng. Stattdessen fasste er meinen Po und meine Brüste an. Ich weiß noch, was ich in dem Moment dachte, puh, Gott sei Dank, habe ich eine enge Hose an. Nachdem er gekommen war, bat er mich um ein Taschentuch. Dann schaute er auf sein Handy und sagte er müsse gehen, da seine Mama gekocht hatte. Ich ging weiter ins Gym. Alles roch und schmeckte nach ihm. Ich versuchte es loszuwerden, in dem ich ganz viel trank, um den Geschmack loszuwerden und in dem ich öfters und ausgiebig duschte, um seine Hände von meinem Körper zu bekommen. Ich fühlte mich ekelhaft.
Wie alt warst du damals?
Ich war damals 16, er war 18.
Hast du in der Situation realisiert, dass die andere Person übergriffig war oder erst später?
Ich habe zwar in dem Moment tief in meinem inneren gespürt, dass ich das alles nicht wollte, aber nicht das sein Verhalten eine sexuelle Belästigung und übergriffig war. Dies ist mir erst im Nachhinein bewusstgeworden.
Hast du dich gewehrt? Wenn ja, mit Worten, Bewegungen oder Gegenständen?
Ich habe versucht Ausreden zu finden. Er hat es mir nicht einfach gemacht und versucht mich zu überreden.
Hast du jemandem erzählt, was dir passiert ist? Wie haben sie reagiert? Hast du Unterstützung bekommen?
Für eine lange Zeit habe ich das Alles für mich behalten, erst später habe ich mich meinen Freunden anvertraut und von ihnen emotionale Unterstützung bekommen.
Hast du nach dem Vorfall eine Therapie/Beratung in Anspruch genommen? Wenn ja, hat es dir geholfen? Wenn nein, hast du darüber nachgedacht?
Ich habe erst viel später eine Therapie in Anspruch genommen. Doch seit dem ich in Therapie bin, habe ich gelernt mit dieser Situation viel besser umzugehen. Sie hat mir zum Einen gezeigt, wie ich mit der Situation abschließen konnte und zum Anderen, wie ich mit zukünftigen Situationen, wie diesen umgehen kann.
Hast du eine Anzeige bei der Polizei erstattet? Wenn ja, ist danach ein Verfahren eingeleitet worden? Wenn nein, hast du darüber nachgedacht?
Ich habe darüber nachgedacht, aber wusste, dass das zu nichts führt. Es gab kaum Beweise für meine Geschichte und ich wollte keine „unnötige“ Aufruhr erzeugen. Ich wusste damals ja selbst nicht, wie ich mit der Situation klarkommen soll. Ich habe mich sehr alleine gefühlt und mich auch nicht getraut mit meinen Eltern oder Freundinnen darüber zu reden.
Hattest du danach Probleme mit Vertrauen zu (neuen) Partner:innen?
Ja, hatte ich, zum Beispiel habe ich auch bei langjährigen Partnern Probleme damit, wenn sie ihre Hände in meine Hose stecken wollten.
Wie stark belastet dich der Vorfall heute noch?
Der Vorfall belastet mich heute nur noch selten, da ich im Alltag kaum damit konfrontiert werde, wenn doch, dann aber sehr.
Hast du einen Ratschlag für Menschen. die auch die sexuelle Belästigung erlebt haben?
Rede mit anderen darüber, was passiert ist und versuch dich davon nicht unterkriegen zu lassen. Bleib immer du selbst.
Falls dir noch Dinge einfallen, welche du loswerden möchtest, kannst du diese gerne einfach noch erzählen.
Verschwende keine Gedanken an sie, sie tuen das auch nicht über dich.
Wenn du dich wie Leonie fühlst oder du dich bei einigen Passagen dieses Textes angesprochen gefühlt hast, haben wir hier ein paar Hilfsangebote für dich: