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Nicht-binär

TRIGGERWARNUNG: Queerfeindlichkeit

Eine Person steht mit angezogenem Binder vor der Kamera und lächelt.
Dino im Binder
“Mich nicht einordnen zu können, war für mich eine lange Zeit super belastend.“
Dino, 24
 
In diesem Interview geht es um Dino und über das Thema nicht-binär.

Nicht-binäre Menschen ordnen sich nicht dem binären Geschlechtersystem zu. Ihre Geschlechtsidentität kann sowohl männliche als auch weibliche Anteile haben, irgendwo dazwischen liegen oder kann sich völlig außerhalb dieser Kategorien befinden. Manche Menschen bezeichnen sich zum Beispiel als genderfluid*, wenn sich ihre geschlechtliche Identität von Zeit zu Zeit ändert oder wechselt.
Sich offiziell als Divers in Dokumente eintragen zu lassen und diese Geschlechtsidentität auch gegenüber dem Staat, Behörden oder im Ausweis zu tragen, ist in Deutschland durch das aktuell bestehende Transsexuellengesetz leider noch nicht so einfach möglich. Das geplante Selbstbestimmungsgesetz soll die Lebenssituation von trans*- und intersexuellen Menschen verbessern und die geschlechtliche Vielfalt anerkennen. Auch Dino möchte, wenn das Selbstbestimmungsgesetz anerkannt und veröffentlicht wird, den Namen und das Geschlecht offiziell ändern lassen.
Dabei möchte Dino keine OPs durchführen lassen, obwohl Dino sich im eigenen Körper oft unwohl fühlt. Aber auch hier hat Dino Alternativen für sich gefunden, wie Binder und trans-Tape.  Ein Binder ist ein sehr eng anliegendes Top, das von trans- und nicht-binären Menschen genutzt wird, um ihre Brüste als flach zu kaschieren. Das Trans-Tape hat eine ähnliche Funktion wie der Binder und stellt eine gute Alternative zu diesem dar. Es handelt sich um eine Klebebandrolle aus hypoallergenem Material, die den Oberkörper glättet, indem sie über die Rippen gehalten wird. Wie man sieht, es gibt einige Alternativen für Menschen, die sich nicht operieren lassen wollen oder aus gesundheitlichen Gründen nicht können.

Nachdem wir euch die wichtigsten Begriffe erklärt haben, könnt ihr euch nun das gesamte Interview mit Dino durchlesen.

Erzähl gerne etwas über dich.

Ich bin Dino, 24 und studiere und lebe zur Zeit in Ilmenau. Ich komme aus Halle und ich bin Video- und Fotograf.

Wie definierst du dein Geschlecht und welche Pronomen nutzt du?

Ich definiere mich als nicht binär. Ich fühle mich weder als Frau noch als Mann. Ich nutze keine Pronomen, nur meinen Namen.  

Wie lange hat es gedauert, bis du dich und deine Identität gefunden hast?

Es hat sehr lange gedauert und hat mich viele Nerven gekostet. Das erste Mal dass ich bewusst darüber nachgedacht habe, dass ich mich nicht als Frau fühle war ungefähr mit 15. Anfangs dachte ich dass ich trans wäre weil ich einige Leute in meinem Umfeld kannte die sich gerade geoutet hatten und mir noch gar nicht bewusst war dass es nicht nur das binäre Geschlechtersystem gibt.  

Erst mit 18 habe ich so wirklich verstanden, dass ich mich nicht als Frau oder Mann definieren muss. Ich war mir aber immer noch unsicher, wie ich mich definieren soll, da es auch in dem nicht binären Spektrum viele Begriffe gibt. Anfangs habe ich immer gesagt ich wäre nicht binär genderfluid. Das bedeutet, dass das Geschlecht hin und her wechselt und man sich mal mehr als Frau fühlt und manchmal mehr als Mann. Aber ich denke, das habe ich nur gesagt, weil ich dachte, dass die Menschen das eher verstehen als wenn ich sage, dass ich mich einfach als gar nichts von beidem fühle. Es war sehr wichtig für mich, einen Begriff zu haben, mit dem ich mich definieren kann, da ich sonst nicht das Gefühl hatte, mich selbst zu finden. Als mich mit 16 oder 17 Leute gefragt haben wie ich mich definieren und welche Pronomen ich nutze wusste ich nie wie ich antworte sollte und habe sowas gesagt wie ‚Keine Ahnung, vielleicht bin ich trans, aber ich weiß es noch nicht und Pronomen habe ich auch keine Ahnung‘. Mich nicht einordnen zu können, war für mich eine lange Zeit super belastend.  

Irgendwann habe ich dann eingesehen, dass ich mich einfach komplett weder als Frau noch als Mann fühle. An dem Punkt hat mir Social Media auch viel geholfen. Das Thema wurde immer präsenter und es haben sich immer mehr Leute als nicht binär geoutet. Zu dem Zeitpunkt war es mir noch egal, ob man mich mit sie/Frau oder er/Herr anspricht. Das ist es mir mittlerweile nicht mehr. Ich fühle mich mit beidem unwohl und möchte nur mit Dino angesprochen werden. 

Hast du Support von Familie/Freunden?

Bei meiner Familie bin ich bis jetzt nur bei meiner Schwester geoutet. Bis ich mich zu dem Outing überwunden habe, hat es auch relativ lange gedauert, warum weiß ich bis heute nicht. Sie ist sehr offen und supportive. Meine restliche Familie spricht mich noch mit meinem Geburtsnamen an, was mir vor allem in der Öffentlichkeit unangenehm ist.  

Die meisten meiner Freunde sind sehr unterstützend, aber ein paar fällt das Gendern schwer oder sie wollen es nicht wirklich versuchen. Das ist dann oft sehr ermüdend, vor allem wenn eigentlich alle wissen, dass ich nur mit Dino angesprochen werden möchte.  

Eine Person wurde mit Langzeitbelichtung im Studio mit schwarzem Hintergrund aufgenommen. Die Person schaut einmal in die Kamera und einmal auf den Boden. Im Hintergrund stehen in Handschrift die Worte "sie er es" und "Frau Mann".
Wie fühlst du dich wenn du falsch gegendert wirst und wenn man deinen Dead Name sagt?

Es fühlt sich immer kacke an. Meistens nicht Mal nur weil ich mich damit unwohl fühle, falsch angesprochen zu werden, sondern auch weil ich traurig bin, dass es viele Leute nicht wirklich versuchen. Wenn man meinen Geburtsnamen sagt oder dieser irgendwo steht, fühle ich mich sehr unwohl. Das bin einfach nicht ich.  

Wenn die Person sich aber korrigiert und mir zeigt, dass sie es versucht, bin ich schon sehr happy darüber. 

Willst du deinen Namen ändern oder OPs durchführen?

Sobald das Selbstbestimmungsgesetz da ist werde ich auf jeden Fall meinem Namen und mein Geschlecht ändern. OPs durchführen oder Testosteron nehmen werde ich denke ich nicht. Da habe ich oft drüber nachgedacht aber mir sind die Risiken zu groß. Ein großer Punkt sind da meine Brüste. An sich mag ich sie aber ich hasse es wenn man sie sieht. Das ist im Sommer immer nervig weil ich unter dem T-Shirt keine BHs trage. Dadurch hat sich auch im Laufe meines Lebens meine Körperhaltung sehr verschlechtert. Ich schiebe immer meine Schultern sehr nach vorne und ziehe mein T-Shirt nach vorne damit man meine Brüste nicht so sehr sieht.  Irgendwann habe ich Binder und Trans-Tape ausprobiert. Aber ich fühle mich schnell eingeengt im Brustkorb, daher nutze ich diese auch nur in seltenen Fällen.

Eine Person schneidet ein Stück transTape zurecht
Eine Person ist dabei sich mit transTape die Brust abzubinden.
Eine Person bindet sich mit transTape die Brust ab.
In welchen alltäglichen Situationen merkt du, dass nicht binäre Menschen nicht genug von der Gesellschaft anerkannt werden?

Das merke ich in vielen Situationen. Erst einmal fehlt vielen Menschen das Verständnis dafür, da sie nicht verstehen können, dass man sich nicht einem Geschlecht zuordnen kann. Für die meisten ist es normal, sich komplett als Mann oder komplett als Frau zu fühlen und dann können sie nicht nachvollziehen, wie es funktionieren soll, sich nicht so zu fühlen. Ein großer Punkt sind Toiletten. Seitdem ich 14 bin, habe ich kurze Haare und mein Passing ist eher das eines Jungen. Ich wurde früher sehr oft auf der Frauentoilette angesprochen, was ich hier soll. Wenn ich alleine unterwegs bin gehe ich meistens auf die Männertoilette. Wenn Menschen dabei sind, die ich kenne, gehe ich auch mal auf die Frauentoilette, weil ich mich dann sicherer vor dummen Kommentaren fühle.

Eine Person steht in einem Ganz zwischen zwei Toiletten. Auf den Schildern der Toiletten befindet sich einmal ein Zeichen einer Frau und einmal das Zeichen eines Manns. Die Person zeigt diesen Zeichen den Mittelfinger.
Wurdest du diskriminiert aufgrund deiner Identität?

So richtig dafür beleidigt oder körperlich angegriffen wurde ich aufgrund meiner nicht-binären Identität nicht. Mir wurde meine Identität schon abgesprochen im Internet, von Leuten die der Meinung sind, es existiert nur das binäre Geschlechtersystem. Ansonsten würde ich sagen, ist es eher eine gesellschaftliche Diskriminierung aufgrund von zu wenig Aufklärung, vor allem in der Schule und durch Gesetze wie das Transexuellengesetz, die wir nicht binären Menschen tagtäglich ertragen müssen.

Wenn du dich wie Dino fühlst oder du dich bei einigen Passagen dieses Textes angesprochen gefühlt hast, dann schaue doch mal auf dieser Webiste: https://queer-lexikon.net/ vorbei, hier sind viele Begriffe erklärt und du kannst dich über verschiedene Chats mit anderen über deine Situation und deine Gefühle austauschen.
Du willst lernen wie genderneutrale Sprache funktioniert? Hier haben wir für dich das kleine 1x1 der genderneutralen Sprache: