Binge-Eating-Essstörung
TRIGGERWARNUNG: Essstörung
“Einmal habe ich fast gebrochen. Als es nach einer halben Stunde wieder ging, habe ich weiter gegessen.“
Anonym
In diesem Interview geht es um das Thema Essstörung.
Die betroffene Person leidet an einer Binge-Eating-Essstörung, was bedeutet, dass sie unter immer wiederkehrenden Essanfällen leidet. Dabei handelt es sich um eine psychische Erkrankung, welche in einem Kreislauf verläuft. Heißhunger endet in Essattacken gefolgt von Scham und Angst vor Gewichtszunahme welche die betroffene Person dazu führen eine Diät zu machen.
„Binge-eating“ kommt aus dem englischen und bedeutet soviel wie Esssucht.
Betroffene von dieser Krankheit nehmen innerhalb kurzer Zeit mehr Essen zu sich als die meisten Menschen in vergleichbaren Situationen. Dabei kommen diese Essattacken unabhängig von Hungergefühlen vor. Meistens merken die Betroffenen auch nicht, was und wie viel sie zu sich genommen haben.
Wie sich die Binge-Eating-Essstörung bei einer betroffenen Person äußert, könnt ihr diesem Interview entnehmen:
Erzähle allgemein vom Binge Eating Kreislauf und wie du diesen für dich selbst erlebst.
Angefangen hat das alles mit dem Ziel abzunehmen, da ich mich schon in meiner Kindheit oft unwohl in meinem Körper gefühlt habe. Dabei war ich nie großartig dick, aber es gab immer die paar Kilo zu viel für mich. Bislang habe ich es nie langfristig geschafft mehr als 2 Kilo abzunehmen, da Diäten für mich einfach nie geklappt haben. Anfang letzten Jahres habe ich dann das Kaloriendefizit für mich entdeckt. Jeden Tag habe ich meine Kalorien in einer App getrackt und dabei am Anfang täglich versucht, nicht mehr als 1300 Kalorien zu mir zu nehmen. Dies hat sehr gut geklappt. Ich habe dann innerhalb von ein paar Monaten 10 Kilo abgenommen. Jedoch kann ich seit letztem Jahr nicht mehr langfristig aufhören Kalorien zu tracken und auch nicht aufhören beim Essen nicht durchgängig an die Kalorien zu denken. Ich schaue mittlerweile auch unterbewusst jeden Tag mehrmals meinen Körper im Spiegel an oder ziehe mein T-Shirt hoch, um meinen Bauch zu betrachten. Manchmal fühle ich mich gut beim Anblick und dann mal wieder überhaupt nicht. Das können dabei auch nur ein paar Stunden Unterschied sein. Irgendwann haben bei mir dann auch gelegentliche Essattacken angefangen. Diese treten bei mir meistens aus dem Nichts auf. Ich bekomme Lust auf ein Stück Schokolade und denke mir, dass eins vollkommen okay ist. Aber dann esse ich noch eins und noch eins bis die ganze Packung leer ist. An dieser Stelle bereue ich, so viel gegessen zu haben, aber denke mir auch, dass der Tag für das Kaloriendefizit jetzt sowieso versaut ist. Dann kann ich meistens nicht mehr aufhören zu essen. Oft solange, bis ich dolle Bauchschmerzen habe. Einmal habe ich fast gebrochen. Als es nach einer halben Stunde wieder ging, habe ich weiter gegessen. Am nächsten Tag fange ich dann wieder wie gewohnt an meine Kalorien zu tracken und fühle mich sehr gut, wenn ich mein Ziel einhalte, bis die nächste Essattacke losgeht.




Hast du Phasen, in denen die Essstörung schlimmer ist? Wenn ja, gibt es bestimmte Situationen, die dich triggern?
Oft kommt es aus einfach so, aus Langeweile oder wenn ich gestresst bin. Zum Beispiel, wenn ich kurz vor einem Urlaub stehe, in dem ich kurze Klamotten tragen oder Baden gehen will. Dann achte ich sehr darauf, die Kalorien zu zählen und dadurch kann es eher zum Binge-Eating-Kreislauf kommen.
Gab es Auslöser in deiner Kindheit/Jugend welche zu der Essstörung geführt haben könnten?
Leider entstand der wahrscheinlich größte Auslöser durch meine Familie. Ich habe fast täglich dumme Sprüche bezüglich meines Gewichts gehört. Mein Körper wurde auf jeder Familienfeier kommentiert. Auch scheinbar lustig gemeinte Kommentare wie: „Du hast aber heute wieder einen gesegneten Hunger“ oder Aussagen wie: „Es gab doch grad erst Essen“, selbst wenn ich mir nur einen Apfel genommen habe, haben mich vor allem in meiner Kindheit extrem verletzt.
Letztes Jahr im Sommer nachdem ich abgenommen habe, hieß es dann: „Du siehst so schön dünn aus. Wie hast du das nur geschafft?” Diese Aussagen haben mich nur noch mehr darin bestätigt, weiter abzunehmen und ich hatte das Gefühl, alles richtig zu machen.
Mittlerweile ist mein Essverhalten wieder etwas gesünder geworden. Viel öfter denke ich beim Essen auch mal nicht daran, die Kalorien zu tracken oder fühle mich nicht direkt schlecht, wenn ich mal etwas ungesundes esse und habe auch die Essattacken einigermaßen im Griff. Jedoch weiß ich, dass sich das auch schnell wieder ändern kann.
Bist du mit deinem Körper zufrieden?
Das ist sehr Tagesform abhängig. Wenn ich mit dem Kaloriendefizit durchgezogen habe und im Fitnessstudio war, bin ich meistens sehr zufrieden mit meinem Körper. Wenn ich zu viel gegessen habe, fühle ich mich oft eklig und zu dick.
Welchen Einfluss hat Social Media auf deine Essstörung?
Aufgrund meiner Suchanfragen im Internet ist meine komplette Foryou Page auf TikTok sowie Instagram voll mit scheinbar perfekten sportlichen Menschen, die täglich ins Gym gehen oder Leute, die täglich zeigen, was und wie viele Kalorien sie zu sich nehmen. Das beeinflusst mich tatsächlich sehr. Dieses Bild von Menschen war in meinem Kopf lange normalisiert. Mittlerweile weiß ich aber, dass ich in den Sozialen Netzwerken in einer Bubble gefangen bin und dass mein Essverhalten nicht normal ist.
Hast du mit Familie oder Freunden über deine Essstörung gesprochen? Bekommst du Unterstützung?
Ich habe es meinen engeren Freunden erzählt, welche mir zugehört haben und Verständnis gezeigt. Personen, welche über die Thematik wenig wissen, können einem da wenig weiterhelfen.
Leidest du neben deiner Essstörung an anderen psychischen Erkrankungen?
Wahrscheinlich ja, aber es ist nichts diagnostiziert.
Bist du in Therapie? Wenn ja, hilft die Therapie? Wenn nein, hast du darüber nachgedacht?
Ich habe schon oft darüber nachgedacht, aber mich nie überwunden. In guten Phasen denke ich auch oft, dass ich das alleine hinbekomme. Mittlerweile ist es bei mir auch besser. Ich versuche selber wieder ein gesundes Essverhalten aufzubauen.
Falls dir noch Dinge einfallen, welche du loswerden möchtest, kannst du diese gerne einfach noch erzählen.
Abschließend möchte ich einfach nur sagen, dass man niemals den Körper oder das Essverhalten einer anderen Person kommentieren sollte. Jeder lustig gemeinte Spruch kann einen triggern oder verletzen. Man weiß nie, was hinter einem Menschen steckt.