Körperliche Beeinträchtigung
TRIGGERWARNUNG: Ableismus

„Manchmal bin ich stolz, mich überhaupt angezogen zu haben und an manchen Tagen schaffe ich einiges mehr. In meiner Situation sollte man grundsätzlich auf die kleinen Dinge schon stolz sein, sonst geht man psychisch ein“.
Nex, 22
In diesem Interview geht es um Nex und über das Thema körperliche Beeinträchtigung.
Seit dem siebten Lebensjahr leidet Nex an einer seltenen Stoffwechselerkrankung, welche Muskelkrämpfe, chronic Fatigue, Wortfindungs- und Konzentrationsstörungen auslöst. Chronic Fatigue ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führt. Im englischen Sprachraum wird meistens der Begriff Myalgische Enzephalopathie (ME) verwendet, inzwischen findet sich auch die Bezeichnung CFS/ME. Viele CFS-Betroffene leiden zudem unter ausgeprägten Schmerzen wie Muskel-, Gelenk- und Kopfschmerzen. Neben der chronischen Müdigkeit bestehen witerhin starke Schlafstörungen. Erholungspausen helfen oft nicht, die Müdigkeit zu beseitigen. Auch nach körperlicher oder geistiger Anstrengung kommt es zu einer Zunahme der Symptome, die tagelang anhalten können.
Mit diesem Interview will Nex zeigen, dass Behinderung nicht gleich Querschnittsgelähmt bedeutet und das Menschen mit Behinderung, welche stehen und laufen können, nicht weniger behindert sind.
Erzähl gerne etwas über dich.
Ich bin Nex, 22 Jahre alt und studiere zur Zeit in Ilmenau angewandte Medien- und Kommunikationswissenschaft.
Welche Art von körperlicher Beeinträchtigung hast du und wie hat sie dein Leben beeinflusst?
Seit ich 7 Jahre alt bin, habe ich eine seltene Stoffwechselerkrankung, welche Muskelkrämpfe, chronic Fatigue (Man kann sich das ungefähr vorstellen, als wäre ich ein Handy mit einem sehr kaputten Akku, während andere mit 100% Akku vielleicht eine Woche durchhalten, schaffe ich einen oder nur einen halben Tag.), Wortfindungsstörungen und Konzentrationsstörungen auslöst. Die Symptomatik wird durch viele Faktoren verschlimmert, u.a. durch körperliche Belastung. Ich darf mich nicht zu sehr belasten und muss viele Ruhephasen einhalten. Es ist auch egal, welche Muskelpartie ich beanspruche, weil prinzipiell egal wo Muskulatur ist, ich Krämpfe bekommen kann. Zusätzlich nehme ich täglich Medikamente und habe 1x wöchentlich Physio sowie alle 2 Wochen bekomme ich eine Haushaltshilfe. Außerdem habe ich öfters Arzttermine für die Verlaufskontrolle.
Hast du einen Behindertenausweis?
Ja, aber er ist nicht auf dem aktuellen Stand, ich kämpfe aktuell dafür. Zusätzlich habe ich Pflegegrad 2.
Schränkt dich deine Beeinträchtigung im Alltag ein? Wenn ja, inwiefern?
Sehr, ich kann beispielsweise nicht lange gehen oder mich konzentrieren, was so ziemlich auf alle Lebensbereiche Auswirkungen hat. Uni wird erschwert, da ich je nach Tagesform mich mehr oder weniger konzentrieren kann oder ich schaffe es gar nicht aus dem Bett wegen Schmerzen/Erschöpfung.
Wie sieht dein soziales Umfeld aus und welchen Einfluss hat deine Beeinträchtigung auf dieses?
Ich kann nicht oft etwas Unternehmen, deswegen habe ich nur wenige Freunde, aber dafür sehr enge. Meistens machen wir dann etwas drinnen, wie etwas kochen und Filme/Serien schauen oder ich zocke mit meinen Online-Freundschaften etwas.
Gab es Situationen, in denen du dich diskriminiert gefühlt hast? Wenn ja, was waren das für Situationen? Beschreibe sie gerne genauer.
Leider habe ich aufgrund der Seltenheit meiner Krankheit immer wieder das Problem, dass mich niemand ernst nimmt, oder es mir unnötig schwer gemacht wird. Das letzte Jahr war das beste Beispiel dafür. Ich hatte im Januar 2021 eine Infektion mit nachfolgendem Leistungseinbruch, ich konnte mich keine halbe Stunde mehr konzentrieren und meine körperliche Belastbarkeit ist ebenfalls fast nicht mehr vorhanden. Deswegen habe ich eine Pflegestufe, Mobilitätshilfe und eine Neufeststellung meiner GdB (Grad der Behinderung) beantragt. Alles wurde zunächst abgelehnt und ich musste in Widerspruch gehen, was wieder wertvolle Zeit verschwendet, die mit einer Zustandsverschlechterung durch Stress einhergehen können. Zum Zeitpunkt, an dem ich diesen Text schreibe, versuche ich immer noch meinen GdB von 60% auf mindestens 80% erhöhen zu lassen, der zuletzt 2016 aktualisiert wurde. Seitdem wurden allerdings die Kriterien verändert, sodass es zum Teil dazu kommt, dass anderen Menschen die Behinderung aberkannt wird, obwohl deren Zustand sich nicht geändert hat. Mir geht es zum Glück wieder etwas besser von der Konzentration her, aber ich kann effektiv nicht mehr gehen (<5 min), was mich für einen höheren GdB (theoretisch) qualifiziert. Ich darf nicht auf den Behindertenparkplatz, obwohl ich mit einem elektrisch angetriebenen Rollstuhl fahre.
Was für Hürden musst du überwinden, wenn du in den Urlaub fährst/fliegst?
Urlaub ist für mich mit einer Menge an Vorbereitungen verbunden. Ich kann nicht ohne meine Tabletten oder meine Hilfsmittel irgendwo hin. Außerdem muss ich mit meiner Ernährung aufpassen, da ich kein Weizen vertrage. Zusätzlich muss ich aufpassen, dass ich nicht auch noch Urlaub vom Urlaub brauche. D.h. Ich darf mich nicht während des Urlaubs überlasten, sonst muss ich mich danach noch eine Woche ausruhen. Eventuell muss ich noch Hilfsmittel mitnehmen.

Brauchst/hast du Personen, die dir täglich helfen und dich unterstützen?
Mein Partner und meine Mutter unterstützen mich tatkräftig, sowie meine Haushaltshilfe.
Welche politischen und sozialen Veränderungen würdest du dir wünschen, um das Leben von Personen mit Beeinträchtigung zu erleichtern?
- Das grundsätzliche Ablehnen von Anträgen ist echt problematisch, da nicht jeder die Kapazität hat, um sich Hilfe zu holen und Widersprüche zu schreiben. Ich habe Glück, dass mich meine Mutter als ehemalige Verwaltungsfachangestellte dabei unterstützt, sowie diverse Hilfsorganisationen wie der VDK und der EUTB. Das sind beides wichtige Ressourcen für diese Probleme.
- Viele Orte sind nicht behindertengerecht, was mich davon abhält, am normalen sozialen Leben teilzunehmen. Rampen, Aufzüge und genügend Platz in Durchgängen fehlen.
Wie möchtest du, dass Personen ohne körperliche Beeinträchtigung auf dich zugehen bzw. mit dir umgehen?
Man sollte mich einfach wie einen normalen Menschen behandeln. Klar fragen, ob man Hilfe braucht oder Hilfestellungen geben, kommt häufiger vor, aber ich bin immer noch ein Mensch und würde auch gerne wie einer behandelt werden. Ich hasse es, wenn mich Leute wie ein rohes Ei oder mit übermäßigem Mitleid behandeln. Mitleid bringt mir nichts, außer dass ich mich auf meine Behinderung reduziert fühle.
Gibt es Erfolge/Leistungen, die du trotz deiner körperlichen Beeinträchtigung erreicht hast, auf die du stolz bist?
Das hängt vom Tag ab. Manchmal bin ich stolz, mich überhaupt angezogen zu haben und an manchen Tagen schaffe ich einiges mehr. In meiner Situation sollte man grundsätzlich auf die kleinen Dinge schon stolz sein, sonst geht man psychisch ein. Aber allgemein bin ich stolz darauf, dass ich mich jeden Tag aufs Neue durchbeiße, in die Uni zu gehen, Hobbies nachzugehen usw., egal wie schwierig es gerade scheint.

Falls dir noch Dinge einfallen, welche du loswerden möchtest, kannst du diese gerne einfach noch erzählen.
- Viele missverstehen Behinderung. Blinde sehen nichts, Rollstuhlfahrer*innen sind grundsätzlich Querschnittsgelähmt. Aber ein für mich sehr wichtiger Aspekt wird immer falsch verstanden. Ich kann noch ein bisschen laufen, deswegen fake ich aber nicht meine Behinderung. Nein – bei mir und vielen anderen Teilzeit Rollstuhlfahrer*innen geht langes Laufen oder Stehen mit immensen Anstrengungen oder Schmerzen einher, deswegen muss man ihnen nicht vorwerfen, dass sie nur simulieren. Ich selbst habe ein Arsenal an Hilfsmitteln, meinen bereits erwähnten elektrischen Rollstuhl und meinen Rollator. Aber egal ob ich mit oder ohne Hilfsmittel unterwegs bin, ich bin immer noch Behindert.
- Person first language ist meiner Meinung nach Schwachsinn. Klar bin ich eine Person mit Behinderung, aber wenn man das so ausdrücken muss, um mich überhaupt als Mensch zu erkennen, sollte man dringend etwas an seiner überholten Einstellung machen. Außerdem ist die Behinderung ein zwar recht bestimmender, aber nur Teil meiner Person. Ich bin zum Beispiel auch Künstlerin oder Gamer, Aquarianer oder Katzenmama.


