—–Triggerwarnung: sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, K.O.-Tropfen——-
Es ist aktuell das Thema Nummer 1: die Band Rammstein, insbesondere ihr Frontsänger und die zahlreichen, massiven Vorwürfe gegen ihn. Es geht um Machtmissbrauch, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung und das Verabreichen von K.O.-Tropfen. Jeden Tag kommen dabei neue Informationen ans Licht – wir zeigen nun einen Überblick über die Ereignisse der vergangenen Tage und Wochen.
Rammstein ist eine Band der sogenannten Neuen Deutschen Härte, eine Mischung aus Metal, Rock, Hardcore-Punk und Techno. Sie gelten als eine der erfolgreichsten deutschen Bands und spielen weltweit ausverkaufte Shows. Die Musik ist hart und die Konzerte berüchtigt für ihre Choreografien und den massiven Einsatz von Pyrotechnik. Frontsänger der Band ist Till Lindemann, welcher auch für den Großteil der Songtexte verantwortlich ist. In diesen geht es immer wieder um kontroverse Thematiken: es geht um Pyromanie, Inzest, Nekrophilie, Drogenmissbrauch und sexuellen Missbrauch. Insbesondere bei den beiden letztgenannten Themen wird durch die Vorwürfe deutlich, dass die Trennung zwischen lyrischem Ich und der Person Lindemann schwammiger sein könnte, als gedacht.

Den Stein ins Rollen brachte die Nordirin Shelby Lynn. Sie postete am 25. Mai auf Twitter, dass sie bei einem Rammstein Konzert in Vilnius (Litauen) von einer russischen Frau namens Alena Makeeva zu einer Pre- und Afterparty eingeladen wurde. Dieser Name wird später noch häufiger auftauchen. Shelby verbrachte das Konzert dann in der sogenannten „Row Zero“, einem abgetrennten Bereich direkt vor der Bühne und wurde in der Konzertpause von einem Crewmitglied in einen Raum unter die Bühne gebracht. Dort traf sie auf Lindemann, der direkt davon ausging, sofort Sex mit ihr zu haben. Vollkommen überrumpelt wies sie ihn ab und machte deutlich, dass dies für sie nicht in Frage komme. Lindemann reagierte sehr aggressiv, schrie die junge Frau an und verließ dann den Raum. An die darauffolgenden Stunden kann sich Shelby kaum erinnern, obwohl sie wenig Alkohol konsumiert hatte. Am nächsten Tag wachte sie in ihrem Hotelzimmer auf – ohne Erinnerungen, dafür aber mit zahlreichen Blessuren am ganzen Körper. Auf Twitter hinterlegte sie ihre Aussagen mit Bildern und Videos, die sowohl ihren Geisteszustand als auch die Hämatome belegten.

In den darauffolgenden Tagen meldeten sich auf diversen Social-Media-Plattformen Frauen aus verschiedenen Ländern, die über ähnliche oder noch härtere Grenzüberschreitungen Lindemanns berichteten. Der Name Alena Makeeva wurde dabei immer wieder genannt. Die Russin fungierte wohl als „Casting Director“, warb Frauen während der Rammstein-Konzerten und über Social Media an, damit diese dann vor, während und nach den Shows Sex mit Till Lindemann haben. Nachdem immer mehr Frauen ihre Erfahrungen teilten, recherchierten die Süddeutsche Zeitung und der NDR zu diesen Vorfällen und veröffentlichten am 2. Juni einen erschütternden Bericht. So bestätigten mehrere Frauen die grenzüberschreitenden Handlungen teilweise sogar unter Eid. Zwei von ihnen schilderten klar sexuelle Handlungen, denen sie nicht zugestimmt hatten. Sie alle beschrieben die exklusiven Partys, bei denen es um das sexuelle Vergnügen Lindemanns ging. Einige Frauen wussten bereits vorher, auf was sie sich einlassen; andere wiederum wurden nicht informiert oder sogar bewusst getäuscht. So beschrieb eine der Betroffenen, zwar zum Sex mit Lindemann zugestimmt zu haben, dieser dann aber äußerst gewalttätig und hart gewesen sei. Sie habe sich dabei sehr unwohl gefühlt und anschließend geblutet. Einige Frauen gaben außerdem an, Erinnerungslücken zu haben und beschrieben Symptome, die auf eine Verabreichung von K.O.-Tropfen hinweisen. Zusätzlich zu den eidesstattlichen Erklärungen haben die Frauen ihre Erfahrungen auch durch Nachrichten hinterlegt, die teilweise mehrere Monate oder Jahre vor den öffentlichen Vorwürfen verfasst wurden. Auch die deutsche Youtuberin Kayla Shyx äußerte sich zu der Thematik und berichtete von ihren eigenen Erfahrungen während eines Rammstein-Konzertes im Sommer 2022. Durch ihr Management bekam die 21-jährige Tickets für das Konzert in Berlin. „Ich wurde dort in der Halbzeit von einer russischen Frau namens Alena Makeeva angesprochen, ob ich zur Afterparty mitkommen will. […] Was dann passierte, war sehr beängstigend.“, so die Youtuberin und Influencerin in einem 36-minütigen Video. Sie beschreibt, dass sie von mehreren Security-Männern gemeinsam mit einer 18-jährigen Freundin an der normalen After-Party vorbei in einen extra Raum geführt wurde. Zuvor mussten sie ihre Handys abgeben. Dort befanden sich noch acht weitere junge Frauen auf zwei Sofas, außerdem eine Menge alkoholischer Getränke. Einige der Mädchen sahen dabei sehr benommen aus, es herrschte eine beängstigende Atmosphäre. Als Kayla bewusst wurde, dass sie als potenzielle Sexpartnerin für Till Lindemann ausgesucht wurde, bekam sie Angst und verschwand mit ihrer Freundin. Alena Makeeva versuchte dabei zunächst noch, die beiden zu überreden, in dem Raum zu bleiben. Eine weitere Frau aus dem Raum berichtete ihr anschließend, dass die Frauen in das Hotel von Lindemann gefahren wurden.

Die Band äußerte sich in den vergangenen drei Wochen nur spärlich. Die Anschuldigungen von Shelby Lynn wurden zunächst auf Twitter dementiert. Als sich Vorwürfe häuften, veröffentlichte die Band ein Statement, in dem sie davon sprachen, diese außerordentlich ernst zu nehmen. Zudem verurteilten sie „jede Art von Übergriffigkeit“ und baten um keine Vorverurteilung, sowohl gegenüber den mutmaßlichen Opfern als auch gegenüber Lindemann. Wenige Tage später berichteten mehrere Medien über die Kündigung von Alena Makeeva und dass diese nun auf dem Weg nach Russland sei. Trotzdem forderte die Russin in mehreren WhatsApp-Gruppen von Frauen, dass sie sich öffentlich durch positive Berichte zu Lindemann bekennen sollen. Auch steht (Stand 16. Juni 2023) immer noch „Casting Director – On the tour with @till_lindemann_official“ in ihrer Biografie auf Instagram. Weitere öffentliche Statements der Band, insbesondere direkt von Till Lindemann, gab es bisher nicht. Dafür aber erklärte die Anwaltskanzlei Schertz Bergmann in einer Pressemitteilung, dass sie nun die Band in „äußerungs- und presserechtlichen Angelegenheiten vertreten“. Alle Vorwürfe wurden als unwahr bezeichnet; außerdem kündigte die Kanzlei an, rechtlich gegen die Frauen und einige berichtende Medien vorzugehen. Shelby Lynn erhielt mittlerweile eine Unterlassungserklärung, während die Polizeibehörden in Litauen von einem Ermittlungsverfahren absehen. Lynn hat nun erklärt, offiziell Beschwerde gegen die Polizei einzureichen und hat um Akteneinsicht gebeten.
Bereits kurz nach der Veröffentlichung der Vorwürfe kam es auch zu ersten Konsequenzen für Lindemann und die Band. Zunächst beendete der Verlag Kiepenheuer & Witsch die Zusammenarbeit mit Till Lindemann. Bei dem Verlag hatte der Lyriker mehrere Gedichtbänder veröffentlicht. Im Zuge der Berichterstattung hatte Kiepenheuer & Witsch von einem Porno erfahren, in welchem Lindemann mitspielt und Frauen sexuelle Gewalt zufügt. In dem Film wird das Buch „100 Gedichte“ als Requisite verwendet. Neben dem Verlag beendeten auch die Poker-Plattform „GGPoker“ und Rossmann ihre Kooperationen mit Lindemann. Nun hat auch Universal Music, der größte Musikkonzern der Welt, die Marketing- und Promotion-Aktivitäten für die Band und Lindemann als Solo-Künstler unterbrochen. Das Unternehmen solidarisierte sich mit Frauen, die sich öffentlich zu den Vorfällen äußerten und fordert eine umfassende Aufklärung. Ob es nun auch zu rechtlichen Konsequenzen kommt, ist ungewiss. Laut dem rbb hat die Berliner Staatsanwaltschaft am 14.06.2023 mitgeteilt, dass gegen Till Lindemann ermittelt wird. Der Tatverdacht: ein Sexualdelikt nach §177 Strafgesetzbuch (beinhaltet sexuelle Übergriffe, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung) und die Verabreichung von Betäubungsmitteln.