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Machtmissbrauch im Fußball

Achtung: Im folgenden Artikel geht es um diverse Formen von sexuellem Missbrauch sowie psychische und körperliche Gewalt. Außerdem wird ein Suizidfall thematisiert.

Fußball ist die weltweit beliebteste Sportart. Allein in Deutschland spielen 2,2 Millionen Menschen aktiv im Verein Fußball, dazu kommen zahlreiche Spieler*innen, welche in Hobby-, Betriebs- oder Unimannschaften regelmäßig gegen den Ball treten. Dass es ein männerdominierter Sport ist, erkennt man überall, sei es bei der Anzahl an aktiven Sportler*innen, der Intensität in der Berichterstattung oder dem Gehalt der Profis. Eine andere Problematik, welche seit ein paar Jahren immer stärker in den Fokus der Medien rückt und Bestandteil gesellschaftlicher Diskussionen ist, sind die zahlreichen Formen und Beispiele von Machtmissbrauch gegenüber Frauen, ausgeführt von Fußballprofis und Funktionären.

Geld, Macht, toxische Männlichkeit, wohin das Auge reicht und Frauen nur als hübsche Statistinnen am Rande, solange sie ins Schönheitsideal passen. Die Rede ist nicht von Hollywood, sondern vom Profifußball. Egal ob Island, Argentinien oder Frankreich – in fast jedem Land der Welt gab es in den letzten Jahren mindestens einen professionellen Spieler, welcher der Vergewaltigung angeklagt wurde. So kam es Anfang 2020 zu einer Gruppenvergewaltigung durch fünf Spieler des italienischen Drittligisten „Virtus Verona“. Das Opfer, eine 20-jährige Schülerin, wurde von den fünf Spielern Stefano Casarotto, Gianni Manfrin, Edoardo Merci, Santiago Visentin und Daniel Onescu in einem Apartment in Verona mit Alkohol „abgefüllt“ und anschließend vergewaltigt. Dabei filmten sie die Tat. Nachdem die Frau die Täter angezeigt hatte, wurden vier der fünf Täter zwar vom Verein suspendiert, konnten aber bei anderen Klubs einfach weiter ihre Karriere fortführen. Mittlerweile wurden alle der gemeinschaftlichen Vergewaltigung schuldig gesprochen und zu jeweils sechs Jahren Haft verurteilt. Eine ähnliche Tat wurde auch Manolo Portanova, Mittelfeldspieler des Zweitligisten FC Genua 1893, nachgewiesen. Mit seinem Onkel und zwei Bekannten hatte der frühere U21-Nationalspieler eine 21-jährige auf einer Party vergewaltigt. Auch er wurde dafür zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt. Seinem Verein FC Genua war das alles vollkommen egal, nach Bekanntwerden der Vorwürfe durfte der 22-jährige Italiener trotzdem weiterspielen und stand selbst am Wochenende vor der  Urteilsverkündung in der Startelf. Erst nach der erstinstanzlichen Verurteilung wurde der Spieler aus dem Kader gestrichen.

Doch nicht nur Spieler werden in der Welt des Fußballs zu Tätern, auch Trainer und Funktionäre. Im Sommer 2022 berichtete die ehemalige niederländische Nationalspielerin Vera Pauw über mehrere sexuelle Übergriffe während ihrer aktiven Zeit. So wurde sie Mitte der 80er vergewaltigt und mehrfach sexuell belästigt. Die nicht namentlich genannten drei Täter sollen dabei zu diesem Zeitpunkt alle beim niederländischen Fußballverband KNVB gearbeitet haben. Über Jahre versuchte sie, intern beim Verband Gehör zu bekommen, scheiterte aber immer wieder. Erst nachdem sie die Übergriffe öffentlich gemacht hatte, äußerte sich der Verband dazu. So gab der KNVB eine öffentliche Stellungnahme ab und entschuldigte sich für vergangene Fehler, außerdem sei man gewillt, die Geschehnisse nun aufzuarbeiten. Auch der erfolgreichste Verein der Niederlande, Ajax Amsterdam, musste sich 2022 mit der Thematik auseinandersetzen. Der damalige Fußball-Direktor Marc Overmars wurde von insgesamt elf aktuellen oder ehemaligen Ajax-Mitarbeiterinnen beschuldigt, ihnen ungefragt Nachrichten mit sexuellem Inhalt sowie „Dick-Pics“ gesendet zu haben. Sie berichteten vom durchweg toxischen Arbeitsklima. „Bei Ajax musst du als Frau eine ganz dicke Haut haben. Wenn du die nicht hast, gerätst du schnell unter Druck“, so eine der Mitarbeiterinnen. Zwar hat der Geschäftsführer Edwin van der Sar mittlerweile angekündigt, einige Veränderungen im Umgang mit Frauen bei Ajax in Angriff zu nehmen, doch auch hier erst, als die Probleme publik gemacht wurden. Der ehemalige Direktor Overmars wurde zwar gekündigt, fand aber schnell beim Ligakonkurrenten Royal Antwerpen eine neue Anstellung als Sportdirektor. 

„Sexismus steckt in der Kultur des Clubs.“

-ehemalige Mitarbeiterin von Ajax Amsterdam

Der wohl bekannteste Fall von Machtmissbrauch im deutschen Fußball handelt von Jerome Boateng. Boateng spielte zehn Jahre für den FC Bayern München, gewann 2014 mit der deutschen Nationalmannschaft die Weltmeisterschaft und erhielt zwei Jahre später die Auszeichnung als Deutschlands Fußballer des Jahres. 2019 wurde durch diverse Zeitungsberichte veröffentlicht, dass der Fußballer eine Beziehung mit dem polnischen Model Katarzyna „Kasia“ Lenhardt führt. Die Beziehung hielt knapp anderthalb Jahre, ehe Boateng in einem Interview mit der „Bild“ das Beziehungsaus verkündete. Er spricht davon, dass Lenhardt eine Alkoholikerin ist und sie die Beziehung zu seinen Kindern zerstörte. Diese Darstellung wird von der „Bild“ und anderen Medien einfach übernommen, Kasia Lenhardt als manipulative Partnerin dargestellt, welche Boateng immer wieder massiv unter Druck setzte. Sie wiederum gibt auf Instagram an, dass sie die Beziehung aufgrund seiner Lügen und Affären beendet hat. Dies nützt aber nichts, die Fans des Fußballers beleidigen und bedrohen das Model auf Social Media, eine Welle des Hasses wird ihr entgegengebracht. Nur einige Tage nach dem Interview nimmt sich Katarzyna „Kasia“ Lenhardt das Leben, sie stirbt mit 25 Jahren.

Nach ihrem Tod kommen immer mehr Fakten ans Licht, welche die Darstellung Boatengs anzweifeln lassen. Zudem wird ein früheres Verfahren gegen Boateng neu aufgenommen, es geht um einen Fall vorsätzlicher Körperverletzung gegenüber Kasia Lenhardt aus dem Jahr 2019, also während ihrer Beziehung. Das Verfahren wurde damals eingestellt, da sich Lenhardt dazu entschloss, keine Angaben zur Tat zu machen. Ob sie dies aus freier Entscheidung tat oder von Boateng dazu überredet oder getrieben wurde, ist unbekannt. Anhand Recherchen des Recherchezentrums „CORRECTIV“ und der „Süddeutschen Zeitung“ wird deutlich, Lenhardt stand extrem unter Druck, wurde zum Schweigen gedrängt und immer wieder bedrängt. Es wird ein Machtgefälle deutlich, unter welchem Lenhardt sehr stark litt und wahrscheinlich auch zu ihrem Tod führte. So musste sie am Ende eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen, in welcher sie sich verpflichtete, über die gesamte Beziehung öffentlich zu schweigen und sämtliche Nachrichten und Fotos aus dieser Zeit zu löschen. In einem Gespräch mit ihrer Mutter gibt sie kurz darauf an, die Verschwiegenheitserklärung aus Angst unterschrieben zu haben. Angst vor Gewalt, vor noch mehr Hass im Netz. Laut der Mutter von Lenhardt habe Boateng sie sogar durch Gewalt zu der Unterschrift gedrängt. Kasia Lenhardt kann dazu nicht mehr befragt werden, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft laufen aktuell noch. Boateng selbst schweigt zu den Vorwürfen. In einem ähnlichen Verfahren, in welchem er wegen Körperverletzung an seiner ehemaligen Lebensgefährtin und der Mutter seiner Töchter angeklagt ist, wurde er mittlerweile für schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe von 1,2 Millionen Euro verurteilt. Sowohl Boateng als auch die Staatsanwaltschaft legten dagegen Revision ein.

Egal ob in Italien, der Niederlande oder Deutschland, es wird deutlich – es handelt sich nicht um Einzelfälle. Allein „CORREKTIV“ sprach mit neun Ex-Frauen und -Freundinnen von Profi-Fußballern, die ein System aus Macht, psychischer sowie physischer Gewalt und Geld beschreiben. Auch die Fußballer wurden dazu befragt, nur selten äußerten sie sich zu den Vorwürfen und wenn, leugneten sie die Taten. Doch die Aussagen der Frauen werden gestützt durch Dokumente, Aussagen von Zeug*innen, Nachrichten und Fotos. Es werden Missstände deutlich, in welchen Fußballprofis, gemeinsam mit ihren Beratern und Anwälten, Frauen manipulieren und unter Druck setzen. Doch warum? Warum werden Profis so häufig zu Tätern, warum werden sie häufig nicht verurteilt und warum können sie ihre Karriere trotzdem weiterführen?

Es sind dieselben Gründe wie in der Film- und Showbranche, welche durch #metoo-Debatte mehr mediale Aufmerksamkeit erhalten haben, allerdings kaum in Bezug auf das Profifußballgeschäft. Es geht um ein System aus Macht, Geld und Medien, in denen Frauen lediglich ein hübscher Anhang sind. Gerade Spielerfrauen oder -freundinnen werden medial massiv sexualisiert. Hinzu kommt eine finanzielle Abhängigkeit in einem Millionengeschäft, getragen von riesigen Gehältern und Werbedeals. In den Nachwuchsleistungszentren, in denen viele Profifußballer „herangezüchtet” werden, zählt meist nur der sportliche Erfolg, nicht aber die menschliche Entwicklung. Dauerhaft umgeben von männlichen Trainern, Funktionären, Beratern und Mitspielern entsteht bereits in jungen Jahren ein Klima der toxischen Männlichkeit. Frauen spielen hier keine Rolle, in der Kabine wird höchstens verglichen, wer gerade die attraktivste Freundin hat oder durch die Berühmtheit als Fußballer bereits in jungen Jahren am meisten sexuelle Erfolge vorweisen kann. Dies zieht sich durch eine ganze Karriere, angefangen von den ersten Spielen für die Jugendmannschaft eines erfolgreichen Vereins mit 14 Jahren, über die Anfänge im Männerbereich bis hin zur Etablierung als regionale, nationale oder sogar internationale Berühmtheit. Immer wieder wird einem gezeigt, wie großartig man ist und was für ein toller Mensch, allein aufgrund der Leistung auf dem Platz. Für einen reflektierten Umgang mit Frauen bleibt dabei wenig Zeit. Das System wird von den Vereinen getragen und auch wenn Vorwürfe von Fehlverhalten öffentlich werden, hält der Klub häufig zu seinem Spieler. Der Verein hat schließlich viel Geld in die Ausbildung oder den Kauf des Spielers investiert und würde sonst vor einem großen Minus stehen. Meist regeln Berater und Anwälte den Rest, machen Frauen durch Druck und Geld mundtot. Es geht schließlich um eine millionenschwere Karriere, an welcher alle mitverdienen wollen. Was ist da schon die Seele, Freiheit und Gesundheit einer Frau wert? Sie soll schließlich einfach nur gut aussehen, lächeln und als Trophäe im Internet präsentiert werden.

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