Ein länderübergreifendes Abkommen, welches die Gleichheit der Geschlechter in den Verfassungen ihrer Unterzeichnerstaaten fest verankert, Diskriminierung von Frauen mit aller Deutlichkeit verbietet und die Länder zu verschiedenen Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen rechtlich bindet. Das ist die Istanbul-Konvention, oder offiziell: das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt.

Am 11. Mai 2011 unterzeichneten 13 Mitgliedsstaaten des Europarates (unter anderem auch Deutschland und Österreich) das Übereinkommen in der türkischen Hauptstadt Istanbul anlässlich der 121. Sitzung des Ministerkomitees. In den darauf folgenden Jahren kamen weitere Länder dazu, so dass mittlerweile 45 europäische Länder die Istanbul-Konvention unterschrieben haben. 37 davon haben sie auch ratifiziert, das bedeutet die demokratisch gewählten Parlamente der Staaten haben ihre Zustimmung zu den Inhalten des Übereinkommens gegeben und das jeweilige Staatsoberhaupt hat dies anschließend bestätigt. Somit sind die Artikel der Istanbul-Konvention in die nationale Gesetzgebung eingebunden. In Deutschland geschah dies am 12. Oktober 2017.
Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt umfasst insgesamt 12 Kapitel und genau 81 Artikel. Diese behandeln neben der Gleichstellung von Mann und Frau, sowie dem klaren Verbot jeglicher Diskriminierung von Frauen (Artikel 4), umfassend den Schutz von Frauen vor sämtlichen Arten von psychischer und physischer Gewalt. Explizit verurteilen die einzelnen Artikel beispielsweise sexuelle Gewalt einschließlich Vergewaltigung (Artikel 36), Zwangsheirat (Artikel 37) oder Zwangsabtreibung (Artikel 39). Zudem werden verschiedene Standards gesetzt, wie Frauen geholfen werden soll oder wie der Staat sie vor solchen Taten schützen kann. Die unterzeichnenden Staaten verpflichten sich so zu Maßnahmen, wie dem Bereitstellen von psychologischer Betreuung und der Errichtung von Einrichtungen wie z.B. Frauenhäusern.

Bei der Ratifizierung der Konvention hatte Deutschland gegen zwei Bestimmungen sogenannte Vorbehalte eingelegt. In den Bestimmungen ging es zum einen um Regeln zur aufenthaltsrechtlichen Situation von ausländischen Gewaltopfern und Vorgaben zur Geltung des nationalen Strafrechts bei im Ausland durch Ausländer*innen begangene Straftaten, die ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in Deutschland haben. Somit musste Deutschland diese beiden Artikel zunächst nicht umsetzen. Bei den Vorbehalten handelte es sich allerdings lediglich um kleine juristische Bedenken aufgrund des nationalen Strafrechts und nicht um größere inhaltliche Kritik. Die Bundesregierung erklärte im Oktober 2022 diese Vorbehalte für geklärt, womit sämtliche Bestimmungen der Istanbul-Konvention ab dem 1. Februar 2023 in Deutschland uneingeschränkt gelten. In anderen Ländern gab oder gibt es dagegen größere Kritik. In Ungarn beispielsweise lehnte das Parlament 2020 die Ratifizierung ab, bezeichnete die Istanbul-Konvention als „ideologisch“ und kritisierte unter anderem die Bestimmung, Menschen aufzunehmen, welche aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihres Geschlechts verfolgt werden. Die Türkei, welche zu den Erstunterzeichnern gehörte und als erstes Land das Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in ihre Gesetzgebung aufnahm, trat 2021 sogar wieder aus der Konvention aus. Machthaber Erdoğan begründete dies damit, dass die Bestimmungen die Ehe untergrabe und Frauen in der Türkei durch die nationalen Gesetze ausreichend geschützt sind. Dabei ist häusliche Gewalt in der Türkei ein flächendeckendes Problem und die Zahl der Femizide in dem autoritär geführten Staat besonders hoch.
In Deutschland kommt Kritik zu den Bestimmungen der Istanbul-Konvention lediglich vom äußersten rechten Rand des politischen Spektrums. Bei der Umsetzung aber gibt es teilweise immer wieder Probleme. Eine Expertengruppe des Europarates kritisierte unter anderen, dass es hier an ausreichend geschulten Polizist*innen, Richter*innen und Ärzt*innen fehlt. Die Situation innerhalb Deutschlands ist dabei unterschiedlich, besonders aber im ländlichen Raum fehlt es an geeigneten Anlaufstellen und Einrichtungen. Und doch sorgt die Istanbul-Konvention dafür, dass sich die Länder und Kreise mit der Thematik beschäftigen müssen. So hat z.B. Sachsen das Hilfsangebot für Opfer von häuslicher Gewalt erweitert, im Doppelhaushalt 2023/2024 ein Rekord-Etat für den Gewaltschutz beschlossen und konkretere Maßnahmen zur Prävention in Aussicht gestellt. Und doch, bis sämtliche Bestimmungen der Istanbul-Konvention auch in Deutschland in der Praxis erfüllt werden, ist es noch ein langer Weg.