Das Jahr 2022 neigt sich dem Ende zu und neben sämtlichen Fernsehsendern und Zeitschriften wollen auch wir einen kleinen Rückblick wagen. Neben einigen positiven Ereignissen gab es dieses Jahr auch zahlreiche Rückschläge in Bezug auf Feminismus, LGBTQIA+ und Gleichberechtigung.

Januar
Am 5. Januar schafft die deutsche Bundesregierung das Amt „Beauftragter der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“, auch genannt „Queer-Beauftragter der Bundesregierung“. Die erste Person in diesem Amt wird Sven Lehmann, welcher selber homosexuell ist und sich bereits vorher seit Jahren für die Rechte der LGBTQIA+-Community einsetzt. So war der Politiker von Bündnis 90/Die Grünen bereits innerhalb der Bundestagsfraktion Sprecher für Queerpolitik und forderte unter anderen 2020 einen „Regenbogen-Rettungsschirm“ für queere Vereine, Kulturschaffende und Klubs, welche aufgrund der Corona-Pandemie in finanzielle Schieflage gerieten.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock kündigt am 12. Januar eine „feministische Außenpolitik“ an. Durch diese Strategie will die Bundesregierung einen intensiveren Blick auf die Gleichstellung der Geschlechter werfen und stärker für die Rechte von Frauen, aber auch Kindern und marginalisierten Gruppen kämpfen. Gleichberechtigte Teilhabe soll in der Außen- und Entwicklungspolitik eine größere Rolle spielen und ein wichtiger Aspekt bei politischen Entscheidungen werden.
Februar
Zum ersten Mal in der Geschichte übernimmt mit Amy Gutmann eine Frau das Amt der US-Botschafterin in Deutschland. Zunächst hatten die Mitglieder der Republikanischen Partei diese Entscheidung blockiert, doch am 8. Februar erhält die Ernennung der ehemaligen Präsidentin der University of Pennsylvania die nötige Mehrheit. Gutmann kommt aus einer jüdischen Familie, ihr Vater stammt aus Mittelfranken und musste im 2. Weltkrieg vor den Nazis aus Deutschland fliehen.
In der Türkei finden am 14. Februar zahlreiche Proteste aufgrund des „One Billion Rising“-Aktionstages statt. Dieser Kampagne wurde 2012 gegründet und kämpft für ein Ende der Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Die Türkei war 2021 aus der Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt) ausgetreten. Zudem kommt es in der Türkei seit Jahren zu einem massiven Anstieg von Frauenmorden.

März
US-Forscher*innen gelingt ein Durchbruch bei der Forschung zur Antibabypille für den Mann. Im März veröffentlicht das Team auf der Frühjahrstagung der American Chemical Society (ACS) einen Bericht, wonach die von ihnen entwickelte Pille bei einer Studie mit Mäusen zu 99% wirkt. Anders als die Pille für Frauen wirkt diese nicht hormonell, sondern mithilfe eines Proteins die Bildung von Spermien innerhalb von vier Wochen unterbindet. Der Effekt ist dabei reversibel, die Mäuse waren in der Studie spätestens nach sechs Wochen wieder vollständig Zeugungsfähig. Um mögliche Nebenwirkungen genauer zu erforschen, soll es 2023 zu klinischen Forschungen an Menschen kommen.
Am 22. März stirbt die neuseeländische Frauenrechtlerin Miriam Dell mit 97 Jahren in Carterton. Dell war Lehrerin an einer Mittelschule und engagierte sich zunächst in einer kirchlichen Frauenorganisation, später wurde sie Mitglied im nationalen Frauenrat. Diesem stand sie ab 1970 als Präsidentin vor. Durch ihr Engagement kam es in Neuseeland zu zahlreichen Gesetzesänderungen, unter anderen setzte sie sich für die Sicherstellung gleicher Staatsbürgerschaftsrechte und die Einführung von Elternurlaub ein und sorgte dafür, dass mehr Frauen in Regierungsbehörden eingestellt wurden. 1979 wurde sie sogar zur Präsidentin des internationalen Frauenrats ernannt und setzte sich in dieser Position international für die Rechte von Frauen ein.

April
In Ungarn findet am 4. April die Parlamentswahl statt. Die regierende, nationalkonservative Fidesz-Partei von Ministerpräsident Victor Orbán erhält im Wahlbündnis mit der Christlich-Demokratischen Volkspartei die absolute Mehrheit und wird damit weitere vier Jahre regieren. Die Fidesz-Partei verbot 2021 die Darstellung von Homosexualität in Medien gegenüber Minderjährigen. Unter Orbán hat sich die Lage von Homosexuellen in Ungarn laut zahlreicher Beobachter massiv verschlechtert.
Am 25. April wird Lisa Paus von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu neuen Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ernannt. Sie ist Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen und wird dort dem linken Parteiflügel zugerechnet. Unter anderen fordert die Diplom-Volkswirtin eine verbesserte Ganztagsbetreuung in Kitas und will insbesondere Alleinerziehende mehr unterstützen.
Mai
Seitdem die Taliban in Afghanistan 2021 erneut die Macht an sich gerissen haben, verschlechtert sich die Lage für Frauen immer mehr. Ständig werden neue Gesetze geschaffen, um die Rechte der Frauen im Land weiter einzuschränken. So verkünden die Taliban am 7. Mai 2022, dass Frauen sich in der Öffentlichkeit nur noch vollständig verhüllt, wie beispielsweise durch eine Burka, zeigen dürfen. Bereits vorher war Frauen der Besuch von weiterführenden Schulen ab der siebten Klasse verboten worden. Im Laufe des Jahres kam es zu weiteren Einschränkungen, unter anderen dürfen Frauen seit November keine öffentlichen Parks, Bäder oder Fitnessstudios mehr besuchen. Seit Dezember Mädchen zusätzlich der Besuch sämtlicher Bildungseinrichtungen, einschließlich Grundschulen untersagt, zudem wurden sämtliche Lehrerinnen in Afghanistan entlassen. Bereits während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 kam es zu massiven Einschränkungen der Grund- und Menschenrechte, unter anderen wurde Frauen damals das Arbeiten sowie sämtlicher Kontakt zu Männern außerhalb ihrer Familie verboten. Zwar hatte sich die rechtliche Lage von Frauen anschließend Verbessert, doch kam es weiterhin häufig zu Zwangshochzeiten und häuslicher Gewalt. Mit der erneuten Machtergreifung der Taliban sind Frauen nun auch wieder vor dem Gesetz Menschen zweiter Klasse.
Juni
Der Paragraf 219a wird in Deutschland nach langjähriger Diskussion abgeschafft. Der Bundestag beschließt dies am 24. Juni und ebnet dadurch den Weg zur Kippung des sogenannten „Werbeverbots für Abtreibungen“. Dieses bestand seit dem Nationalsozialismus und verbot Ärzt*innen z.B. über Schwangerschaftsabbrüche auf ihrer Website zu informieren. Diese Entscheidung wurde in der Öffentlichkeit als wichtiger Schritt für mehr Selbstbestimmung von Frauen wahrgenommen. Vorangegangen war dieser Entscheidung ein jahrelanger Kampf der Medizinerin Kristina Härtel, welche mehrfach auf Basis des Paragrafen 219a verurteilt wurde. Sie hatte auf ihrer Website lediglich erklärt, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt.
In der norwegischen Hauptstadt Oslo tötet ein islamistischer Terrorist bei einem Anschlag zwei Menschen und verletzt 21 weitere. Der Anschlag richtet sich vor allem gegen Besucher eines queeren Nachtclubs. Eine Pride-Parade, welche am nächsten Tag in Oslo stattfinden sollte, wird aufgrund des Anschlags abgesagt.
Juli
Mit der italienischen Astronautin Samantha Cristoforetti absolviert am 21. Juni zum ersten Mal eine Europäerin einen Außenbordeinsatz im Weltraum. Cristoforetti ist zudem die erste Frau aus Europa, die das Kommando über die ISS innehat. Vom 8. September 2022 bis zum 12. Oktober 2022 hat sie diese Funktion inne und leitet damit in dieser Zeit die größte Raumstation der Menschheit. Die Italienerin engagiert sich seit Jahren Gleichberechtigung und will das Interesse von Mädchen an der Wissenschaft fördern. 2019 veröffentlichte der Spielzeughersteller Mattel eine Barbie, welche Cristoforetti darstellen soll und einen Raumanzug trägt.

Am 30. Juni stellt die deutsche Bundesregierung ihr Eckpunktepapier zum neuen Selbstbestimmungsgesetz vor. Dieses soll Transpersonen die Änderung ihres Geschlechtseintrags beim Standesamt erleichtern. Dieser bürokratische Vorgang erfordert aktuell sehr viel Zeit und Kosten. Auch Personen unter 18 Jahren wären in diesem Gesetz eingeschlossen, benötigen aber weiterhin die Zustimmung einer sorgeberechtigten Person. Da dies allerdings bisher nur ein Entwurf ist, gilt weiterhin das diskriminierende Transsexuellengesetz von 1980.
August
Am 25. August verabschiedet das spanische Parlament das sogenannte „Nur-Ja-heißt-Ja“-Gesetz. Diese Neuregelung definiert Vergewaltigung als „Sex ohne eindeutige Zustimmung“, somit müssen Frauen nicht mehr beweisen, dass bei der Tat Gewalt im Spiel war. Dieses Gesetz verbessert die rechtliche Situation von Opfern und soll auch bei anderen Formen von sexualisierter Gewalt eingesetzt werden. Zusätzlich zu diesem Gesetz wurden in Spanien neue Gesetze zur Belästigung auf der Straße erlassen und der Sexualunterricht in Schulen erweitert.

Am Rande der Parade anlässlich des Cristopher Street Days in Münster wird der Transmann Malte C. zusammengeschlagen und stirbt anschließend an seinen Verletzungen. Der 25-Jährige war am 27. August zwei Frauen zur Hilfe geeilt, die durch eine Person bedroht und als „lesbische Hure“ beschimpft wurden. Malte C. bat den aggressiven Mann damit aufzuhören und wurde daraufhin von ihm mehrfach ins Gesicht geschlagen und fiel anschließend mit dem Kopf auf den Asphalt. Er starb einige Tage später an den Folgen seiner Verletzungen. Der Täter wurde im September gefasst und sitzt aktuell in U-Haft.
September
Am 16. September stirbt Jina Mahsa Amini an den Folgen massiver Polizeigewalt in der iranischen Hauptstadt Teheran. Die junge Iranerin mit kurdischer Abstammung war verhaftet worden, weil sie ihr Kopftuch nicht richtig getragen haben soll. Ihr Tod führt zu einer riesigen Protestwelle, sowohl im Iran als auch in anderen Ländern auf der ganzen Welt. Die iranische Regierung geht gegen die Proteste mit Gewalt vor, bisher starben (Stand Dezember 2022) über 400 Menschen bei den Demonstrationen, knapp 900 wurden verletzt und insgesamt circa 18.450 Menschen verhaftet. Einigen von ihnen droht die Todesstrafe. Wir berichteten übrigens schon einmal über die Situation im Iran.
In Kuba wiederum entwickelt sich die Gesellschaft immer offener und moderner. So findet am 24. September eine Bevölkerungsabstimmung über ein großes, neues Familiengesetz statt. Neben erweiterten Schutzmaßnahmen für Opfer häuslicher Gewalt, einem stärkeren Selbstbestimmungsrecht für Menschen mit Behinderung sowie der Gleichstellung von Frauen und Männern in sämtlichen familiären Angelegenheiten zählt auch die Einführung der Ehe für alle zu dem Gesetzespaket, für welches über zwei Drittel der kubanischen Bevölkerung stimmen.
Oktober
Bei der brasilianischen Präsidentschaftswahl am 2. Oktober gewinnt Luiz Inácio Lula da Silva, genannt Lula, gegen den rechtsextremen Machthaber Jair Messias Bolsonaro. Bolsonaro hatte während und vor seiner Amtszeit mehrfach homophob, frauenfeindlich und rassistisch. Ob sich die Gesellschaft in Brasilien unter Lula weiter öffnet, bleibt unklar, zuletzt hatte er sich im Wahlkampf entgegen seiner eigentlichen Meinung gegen Abtreibung ausgesprochen, um auch konservative Wähler*innen zu erreichen.
Der öffentlich-rechtliche Sender „Canal 10“ in El Salvador sendet Anfang Oktober einen kurzen Info-Film über sexuelle Vielfalt. Für den Film kooperierte mit dem Institut für die Ausbildung von Lehrpersonen (INFOD), um Schüler*innen über unterschiedliche Themen zu informieren. Dem Präsidenten von El Salvador, Nayib Bukele, passt der Film nicht in das staatliche Weltbild und zu den nationalen Werten. Er sorgt dafür, dass der INFOD-Chef entlassen wird und verbietet weitere Ausstrahlungen des Films, der Kindern die Existenz von queeren Menschen aufzeigt. Es wurden zudem weitere Einschränkungen im Bereich der Medien- und Pressefreiheit angekündigt.
November
In der Nacht vom 19. zum 20. November kommt es in einem queeren Nachtclub in Colorado Springs zu einem Amoklauf. Der 22-jährige Täter erschoss dabei fünf Menschen und verletzte 25 weitere. Anschließend konnte er durch mehrere Gäste des Clubs, unter anderem ein US-Army-Veteran, überwältigt werden. Der Täter schweigt bis heute zu seinem Motiv, aufgrund der Örtlichkeit sowie zahlreichen homophoben Aussagen, welche er in der Vergangenheit äußerte, wird von einem Hassverbrechen ausgegangen. Zudem fand die Tat in der Nacht vor dem Transgender Day, einem Gedenktag für die Opfer von Transfeindlichkeit.
Vom 20. November bis zum 18. Dezember findet in dem Wüstenstaat Katar die Fußballweltmeisterschaft der Männer statt. Die Vergabe wurde zuvor massiv kritisiert, neben Bestechungsvorwürfen, tausenden von Gastarbeitern, die während des Baus der Stadien gestorben waren, sowie der klimatisch bedingten Verlegung in den Winter spielten dabei auch die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen in dem Land eine Rolle. In Katar gelten Frauen in vielerlei Hinsicht als Menschen zweiter Klasse, benötigen für zahlreiche Tätigkeiten die Erlaubnis einer männlichen Person. Zudem sind sämtliche homosexuelle Handlungen in dem Land verboten. Viele Fans wenden sich von der WM ab, dafür steigen die Zuschauerzahlen beim Frauenfußball in Deutschland extrem. Auch wir berichteten in zwei Einträgen über die Situation von Frauen und der LGBTQIA+-Community in Katar.
Dezember
Andrew Tate, ein britisch-US-amerikanischer Unternehmer und ehemaliger Kickboxer, gibt auf Twitter am 27. Dezember mit den CO₂-Werten seiner Autos an und richtet seinen Tweet an die Aktivistin Greta Thunberg. Diese kontert und schreibt, er solle sämtliche Werte gerne an „smalldickenergy@getalife.com“ senden. Die Antwort Thunbergs wird innerhalb kürzester Zeit zum Tweet mit den fünftmeisten Likes aller Zeiten. Tate ist bekannt geworden durch seine extrem frauenfeindlichen Äußerungen: so gibt er allen Frauen, die sexuelle Übergriffe erfahren mussten, eine Mitschuld und ist der Meinung, dass Frauen als Besitz von Männern betrachtet werden sollten und ins Haus gehören. Zwei Tage nach seiner Nachricht an Greta Thunberg wurde Tate in Rumänien verhaftet. Ihm werden unter anderen Menschenhandel, Vergewaltigung und die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.